Was unsere Geburt mit unserem heutigen Leben zu tun hat
- Eleonore Hasler
- 28. Juni
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 11. Juli
Ein persönlicher Einblick aus meiner Ausbildung zur Craniosacral-Therapeutin
Gestern war ich mit einigen Frauen beim Mittagessen – unsere Kinder hatten Sporttag und waren bis 14 Uhr in der Schule. Es tat gut, gemeinsam zu essen, zu reden und sich auszutauschen. Dabei erzählte ich von einer Weiterbildung, die ich im Rahmen meiner Craniosacral-Ausbildung besucht habe – es ging um den Geburtsprozess.
Diese Weiterbildung hat in mir einiges bewegt. Und heute möchte ich ein paar Gedanken dazu teilen – weil ich glaube, dass sie viele von uns betreffen, auch wenn wir uns dessen gar nicht bewusst sind.
„Warum sollte ich mich mit meiner Geburt beschäftigen?“
Diese Frage hat mir kürzlich jemand gestellt.„Ich weiß doch gar nichts mehr davon. Mein Vater kann mir da auch nichts erzählen – und meine Mutter lebt nicht mehr.“
Ein berechtigter Einwand. Aber: Der Körper vergisst nicht. Auch wenn wir keine bewusste Erinnerung an unsere Geburt haben, trägt unser Körper die Erfahrung in sich. Und das, was damals unvollständig blieb oder traumatisch war, kann sich bis heute – manchmal subtil, manchmal deutlich – in unserem Leben zeigen.
Die vier Phasen der Geburt – und wie sie unser Leben prägen können
In der Craniosacral-Therapie betrachten wir den Geburtsprozess als vier aufeinanderfolgende Phasen. Jede dieser Phasen ist nicht nur ein körperlicher Abschnitt – sie formt unsere spätere emotionale und psychische Stabilität mit.
Wenn eine Phase unterbrochen, beschleunigt oder medizinisch übergangen wurde, kann das Spuren im Nervensystem hinterlassen – Spuren, die sich z. B. in Stressmustern, wiederkehrenden Herausforderungen oder Beziehungsthemen zeigen können.
1. Phase – Einsinken ins Becken / Der Anfang
Das Baby beginnt mit dem Einsetzen der Wehen seinen Weg ins Becken. Der Raum verändert sich, Druck entsteht, es ist der Beginn einer Reise.
Qualität: Selbstbestimmung, Aufbruch, Aktivierung der eigenen Kräfte. Herausforderungen: Geburtseinleitung, Kaiserschnitt vor Wehenbeginn, sehr lange oder sehr schnelle Geburten. Spätere Muster: Schwierigkeiten, Dinge zu beginnen oder ins Tun zu kommen, Passivität, das Gefühl, äußere Impulse zu brauchen.
2. Phase – Begegnung mit dem Widerstand / Geburt des Kopfes
Der Kopf trifft auf die Beckenknochen – ein Moment voller Intensität. Hier entscheidet sich, ob das Baby durchhält oder Hilfe braucht.
Qualität: Durchhaltevermögen, Kampfgeist, Umgang mit Druck. Herausforderungen: Saugglocke, Zange, Geburtsstillstand. Spätere Muster: Angst vor Konflikten, Überforderung bei Widerstand, Gefühl: „Ich schaffe es nicht allein.“ oder umgekehrt: „Ich muss alles mit Kraft durchsetzen.“
3. Phase – Letzter Druck / Geburt des Körpers
Der Kopf ist draußen, nun folgen Schultern und Körper. Noch ein paar letzte Wehen – dann ist der Geburtsvorgang abgeschlossen.
Qualität: Fertigwerden, Loslassen, Abschluss finden. Herausforderungen: Steckenbleiben der Schultern, abrupte Eingriffe
Spätere Muster: Dinge fast bis zum Ende bringen, dann abbrechen. Angst vorm Abschluss oder nie fertig werden. Gefühl: „Ich bleibe hängen.“
4. Phase – Ankommen und Bindung / Erste Verbindung
Das Baby ist geboren. Jetzt beginnt der erste Kontakt mit der Welt – Haut, Geruch, Stimme, Nähe. Idealerweise findet hier Bonding und Stillen statt – auf Augenhöhe und im Tempo des Babys.
Qualität: Urvertrauen, Bindungsfähigkeit, Regulation über Beziehung. Herausforderungen: Trennung nach der Geburt, Klinikabläufe, Stillen nur nach Uhr. Spätere Muster: Schwierigkeiten, sich zu binden oder zu entspannen. Rückzug bei Stress, Tagträumerei, Gefühl von Einsamkeit trotz Nähe.
Was passiert aber, wenn eine dieser Phasen gestört war? Wenn z. B. mit Saugglocke oder Zange eingegriffen wurde? Oder wenn ein Kaiserschnitt nötig war und das Baby diese natürlichen Schritte gar nicht erlebt hat?
Dann kann es sein, dass diese Erfahrungen im Körper nicht abgeschlossen sind. Und genau deshalb wiederholen sie sich – in bestimmten Lebenssituationen, Beziehungen, im Stressverhalten, bei Kindern im Schulalltag. Unbewusst, aber wirksam.
💡 Wichtig: Jede Geburt ist individuell
Diese vier Phasen sind kein Bewertungssystem, sondern ein Werkzeug zur bewussten Reflexion. Manche Interventionen waren medizinisch nötig und haben Leben gerettet – dennoch kann es hilfreich sein, die feinen, oft unbewussten Spuren im Körper zu erkunden.
Die gute Nachricht: Der Körper ist formbar, lernfähig und bereit zur Heilung – in jedem Alter. Über achtsame Berührung, therapeutisches Begleiten und Bewusstheit können alte Prägungen integriert und neu geschrieben werden.
Meine eigene Erfahrung: Geburt unter Druck
Ich selbst habe meine eigene Geburt bereits auf seelischer und geistiger Ebene bearbeitet. Was lange fehlte, war der körperliche Teil.
Ich wurde mit Druck auf den Bauch zur Welt gebracht – mir wurde keine Zeit gelassen, selbst den Impuls zur Geburt zu setzen. Das zeigt sich bis heute: Ich empfinde es als sehr unangenehm, wenn mir jemand von aussen sagt, was ich tun soll. Es löst sofort Stress aus.
Heute weiss ich: Dieses Empfinden hat seinen Ursprung in meiner Geburt. Und dieses Wissen hilft mir, besser damit umzugehen. Ich erkenne die Situation, ich kann anders reagieren – nicht immer, aber immer öfter.
Und noch etwas Persönliches: Die stille Trennung nach der Geburt
Nach meiner Geburt wurde ich direkt ins Babyzimmer gelegt und nur zu bestimmten Zeiten zum Stillen zur Mutter gebracht – nicht nach meinem Bedürfnis, sondern nach Plan.
Heute merke ich, dass ich in Momenten der Langeweile oder des Alleinseins sehr schnell mit meinen Gedanken „verreise“. Früher empfand ich das einfach als Tagträumerei – heute sehe ich es als eine mögliche Strategie meines Körpers: Als Baby war ich allein und hatte keine andere Möglichkeit, mit der Situation umzugehen. Also bin ich innerlich ausgewichen.
Diese Reaktion passt genau zur 4. Phase der Geburt – dem „Ankommen in der Welt“. Wenn in dieser Phase kein stabiler Kontakt zur Bezugsperson entsteht, sucht sich der Körper oft einen anderen Weg, um sich zu regulieren – zum Beispiel durch inneren Rückzug.
Das zu erkennen war für mich sehr berührend. Und es gibt mir heute ein besseres Verständnis dafür, warum ich in bestimmten Momenten so reagiere, wie ich reagiere. Auch hier gilt: Bewusstheit ist der erste Schritt zur Veränderung.
Bewusstsein verändert alles
Wir können nur das verändern, was wir bewusst wahrnehmen. Was unbewusst bleibt, steuert uns – oft gegen unseren Willen.
Die Arbeit mit dem Geburtsprozess in der Craniosacral-Therapie ist für mich ein faszinierender und berührender Weg. Ich freue mich auf jedes weitere Seminar-Wochenende – und darauf, bald meinen Abschluss in den Händen zu halten.
Möchtest du deine Geburt erforschen?
Wenn du das Gefühl hast, deine Geburt könnte mehr mit deinem heutigen Leben zu tun haben, als du bisher gedacht hast – wenn du spürst, dass sich bestimmte Muster immer wiederholen – oder wenn du deinem Kind helfen möchtest, solche Erfahrungen zu integrieren:
Melde dich gerne bei mir. Ich begleite dich achtsam auf diesem Weg – auch im Erwachsenenalter lässt sich der Geburtsprozess noch einmal durchleben. Nicht identisch – aber auf eine heilsame, körperlich verankerte Weise.
Herzlich, Eleonore Hasler
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